Dienstag, 9. November 2010

Beobachtungen bei der Tafelarbeit


Den heutigen Beitrag möchte ich meinen Beobachtungen widmen, die ich unfreiwillig im Laufe meiner Arbeit in der Entraide (siehe Beschreibungs-Artikel) mache – sowie den Gedanken, die daraus entstehen.
Jeden Montag, Donnerstag und Freitag werden also Menschen, die sich in Notdurft befinden, in der Entraide mit einem nicht gerade kleinen Paket an Nahrungsmitteln und/oder Kleidung versorgt. Auch verbilligte Bustickets kann man hier erwerben. Wie ich inzwischen erfahren habe, haben die Empfänger etwa alle drei Wochen das Recht auf ein solches Paket – zugegeben, leben können sie davon nicht, aber es ist doch sicher eine schöne Unterstützung, materiell sowie auch moralisch.
Ich werde den Inhalt eines solchen Paketes mal etwas aufschlüsseln: ein Mensch erhält im Schnitt etwa: 1 Liter Milch, eine 500 Gramm-Konserve (Bohnen, Erbsen, etc.), ca. 250 Gramm Fleisch (schwankt allerdings öfters) bzw. Fisch, 250 ml verdickte Milch, 250 Gramm Toastbrot, ein bis drei Gebäck-Stücke (Kreppel oder auch «Berliner» zum Beispiel), ca. 400 Gramm Nudeln, 250 bis 500 Gramm Reis, 250 bis 1000 Gramm Mehl, mehrere Tafeln Schokolade, Sonneblumenkernöl, ein bis zwei Sandwiches, ca. 3 Fertigprodukte (Salate, Pizza, etc.), zwischen 300 und 800 Gramm Gemüse und Früchte, Butter, Käse, diverse Joghurte. Das soll nur eine ungefähre Darstellung sein und varriert je nach Einkaufserfolgen (wir haben auch nur das parat, was wir in der banque alimentaire bekommen.).
Die meisten Menschen reagieren mit Dankbarkeit und sind froh über dieses Paket, andere fragen penetrant nach, wollen dies oder das nicht und gegen etwas anderes umtauschen. Manchmal sind sie im Recht und man vergisst etwas obligatorisches, in vielen Fällen aber grenzt dieses Nachbetteln an Dreistigkeit und stört den Arbeitsablauf sowie die Gerechtigkeit, schließlich soll hier jeder ungefähr gleich versorgt werden. Manche dieser dreisteren Empfänger scheinen auch nicht wirklich auf die Pakete angewiesen zu sein und so ist es nicht erst einmal passiert, dass eine Frau, die sich über Fleischmangel in ihrem Paket beschwert hat, nachdem man sie zurechtwies, wutentbrannt ohne ihr Paket gegangen ist. Soetwas finde ich schade – es stört die Atmosphäre, die Mitarbeiter und die anderen Wartenden. Letzte Woche reagierte ein moslemischer Ehemann sehr ungehalten darauf, dass man ihm ausversehen eine Konserve mit Schweinefleisch-Tortellini eingepackt hatte. Auch nach dem Umtausch, einer Entschuldigung sowie der Betonung, es sei der erste Tag des packenden brüllte er noch herum – dafür habe ich auch kein Verständnis. Wir erwarten keine unterwürfige Dankbarkeit, aber Verständnis, Geduld und Freundlichkeit sehe ich nicht als zu viel verlangt an.
Ich befürchte, dass die dauerhafte kostenfreie Versorgung der Menschen einen falschen Effekt hat. Sie werden abhängig und verwöhnt, was einen Einstieg in ein autonomes Leben ohne Tafeln nicht gerade erleichtert. Das Konzept einer «Epicerie Sociale», in der die Menschen einen kleinen Betrag für die Produkte zahlen, halte ich für besser (diese gibt es übrigens auch, ebenfalls durch die Entraide Protestante de Lyon betrieben). Ebenso falsch finde ich das Verteilen von Fertigprodukten, die eher einen Luxus darstellen, den ich aber für unnötig und «erzieherisch» (das soll nicht überheblich klingen!) falsch halte.
Naja, umso schöner sind dann die netten Momente, wenn sich bei der Übergabe des Paketes ein Lächeln im Gesicht der Empfänger ausbreitet und (in seltenen Fällen) auch mal ein kleines Schwätzchen folgt. Eine besonders dankbare Frau aus Marokko beschenkt uns regelmäßig mit tollem Tee und Crêpeähnlichen Teigfladen, die wunderbar schmecken – serviert in traditionellem Geschirr. Darüber freuen sich alle immer besonders – mir gefällt vor allem die Geste, die Fladen verschmähe ich natürlich trotzdem nicht!

PS: Sorry, dass ich kein passendes Foto parat habe...